Serie ME und Philiform

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Abbildung: ME1200

1965 hatte Philips den ersten Mechanik Lehrbaukasten, den ME, vorgestellt. In den "Philips Nieuws voor Hobbyisten en Radio-Amateurs", Ausgabe  3 von 1966, wurde  ausführlich über die Geschichte dieser spektakulären Entwicklung berichtet. Die Entwickler "J. de Lange Boom" und "J. H. Reijnhard" erkannten schnell das enorme Potenzial dieses Auftrags und hatten ein großes Ziel vor Augen. Sie wollten einen Baukasten schaffen, der jungen Menschen (den Ingenieuren der Zukunft) all das bietet, was sie sich selbst in ihrer Jugend gewünscht hätten. Um dieses Ziel zu erreichen, forderten sie freie Hand bei der Umsetzung.

Titelblatt: Philips Nieuws 3/66

Die Philips Nieuws gibt es
bei Rob Kalmeijer

So bestand von vornherein die Absicht, den Konstruktionskasten mit den bekannten EE Baukästen zu kombinieren. Im Gegensatz zu den Elektronikkästen, die mit vielen Standardteilen aus laufender Produktion bestückt sind, enthält der ME fast nur Bauteile, die speziell für diesen Kasten entwickelt wurden. "Eine Suche nach Normteilen aus Serienproduktion in den verschiedenen Philips-Werken ergab fast nichts, was für unseren Zweck nützlich sein könnte", erklärt Ingenieur Reijnhard.

"Eine Ausnahme war eine bestehende Serie von kleinen Elektromotoren. Doch je weiter wir mit der Entwicklung des Kastens vorankamen, desto mehr hatten wir andere Anforderungen an die Ausführung des Motors. Das Kunststoffgehäuse sollte durchsichtig werden; der Antrieb und die Montage war nicht wie wir wollten; die Transistoren in den EE Baukästen waren nur bis 100 mA ausgelegt, während der ursprüngliche Motor für 200 bis 400 mA berechnet war. Es gab eine Überraschung nach der anderen. Der endgültige zerlegbare Motor, der perfekt für unsere Zwecke geeignet war, hatte nur noch sehr wenig mit dem Original gemeinsam!"

Die Räder und Platten wurden mit hoher Präzision  aus einem damals ganz neuartigen Kunststoff gefertigt. Der nur für Chemiker aussprechbare Name lautet "Styreenacrylonitril" (heute Styrol-Acrylnitril). Dieses Material ist unter der Abkürzung SAN wesentlich bekannter. Wegen der Durchsichtigkeit und hohen Festigkeit wird es beispielsweise auch für den Bau von Flugzeugkuppeln verwendet.

Je nach Verwendungszweck kommen auch andere Materialien zum Einsatz: Metall für Achsen, Federn und Hilfswerkzeuge; weiche Kunststoffe für Schläuche und Pumpengehäuse; Gummi in Form von Ringen, Schlauch, Ballon und Reifen; ein Nylonanker; Befestigungsschnur; Magnete aus dem keramischen Werkstoff Ferroxdur; sowie elektrotechnische Bauteile wie Leitungsdrähte, Lampen und natürlich der Motor. Insgesamt enthält der stabile Holzkasten mit Schiebedeckel eine Sammlung von über 600 Präzisionsteilen mit einer Fertigungsgenauigkeit von 5 µm.
(Anmerkung: In frühen Druckschriften steht 5 Mikron. Der Händlerkatalog 1968 nennt hingegen eine Genauigkeit von 0,05 mm)

Insbesondere die Räder sind äußerst vielseitig einsetzbar: als Zahnrad, als Laufrad für Fahrzeuge, als Ritzel für Übersetzungen, Lenkrad, zur Konstruktion von Batteriehaltern oder auch als Kontaktrad in Drehschaltern. Die Räder haben hierzu, je nach Größe, außer dem zentrischen Loch noch bis zu 126 kleine Löcher, die auf bis zu 7 Radien verteilt sind.

Der ME Baukasten bot fast endlose Möglichkeiten um richtig funktionierende Modelle von Maschinen und Anlagen mit damals modernsten Materialien aufzubauen. Pendel- und Tischuhren, Windmühlen, Flaschenzüge, Seilbahnen, Waagen, Wasserpumpen, Fahrzeuge aller Art, Druckluftmotoren, Kräne ... eigentlich alles, was man sich denken kann. Der Antrieb der Modelle erfolgt nicht nur durch den beigelegten Elektromotor. Auch Wind, Pressluft (aus einem Autoreifen), fließendes Wasser oder die Elastizität von Gummi wird als Antriebskraft genutzt. In diesen Fällen ist der Motor sogar als Generator einsetzbar.

In dieser Vielfalt und Präzision war das neu und einzigartig. Deshalb wurde der Konstruktionskasten bereits in seinem Geburtsjahr vom französischen Industrieministerium mit dem Preis für das beste Spielzeug ausgezeichnet.

Abbildung: Lastkraftwagen

Die Abbildung zeigt einen LKW mit Elektromotor und Lenkradschaltung für 3 Vorwärts- und 2 Rückwärtsgänge. In Kombination mit einem Elektronik-Baukasten lassen sich die Modelle sogar elektronisch steuern.

Die Bauvorschläge in der Anleitung sind nur als kleiner Teil der Möglichkeiten zu verstehen. Die Anleitung ist eher ein Leitfaden. Sie soll die Tüftler auf den richtigen Weg bringen um genau das zu konstruieren, was ihnen vorschwebt. Der ME ist somit nicht für ein bestimmtes Alter, sondern für Menschen mit einem besonderen Interesse bestimmt. Ein interessantes Hobby für alle von 8 bis 88 Jahren.

Ab 1966 wurde der Mechanik Lehrbaukasten inhaltlich unverändert unter der Bezeichnung ME 1200 geführt. Äußerlich erhielt er einen entsprechenden Aufkleber auf einer Längswand des Holzkastens.

Für noch größere Konstruktionen kam gleichzeitig eine ganze Reihe an Päckchen mit Ersatz- bzw. Ergänzungsteilen (ME 1800 bis ME 1818) hinzu. In Deutschland wurden meines Wissens nur die fett markierten Typen als komplette Packungen angeboten. Die anderen Päckchen enthalten Hilfswerkzeuge und spezielle Bauteile, die nur als Einzelstücke oder in geringer Menge im Grundkasten enthalten sind. Diese Teile wurden in der Regel nur einzeln verkauft.

Serie ME
ME
1809
ME
1810
ME
1811
ME
1812
ME
1813
ME
1814
ME
1815
ME
1816
ME
1817
ME
1818
ME
1800
ME
1801
ME
1802
ME
1803
ME
1804
ME
1805
ME
1806
ME
1807
ME
1808
(ME)
ME 1200
ME 1201 ME 1250

Im Jahr 1967 erscheinen passend zur neuen Elektronik-Serie EE 1000 auch zwei neue Mechanik Lehrbaukästen. Der ME 1201 und der kleinere ME 1250. Beide Kästen können separat oder in Kombination miteinander benutzt werden. Ebenso ist weiterhin der Ausbau mit den Kleinpackungen ME 18xx möglich. Die Packung ME 1807 ist für manche Modelle der neuen Kästen zwingend erforderlich.

Abbildung: Bulldozer

Die neuen Baukästen enthalten im wesentlichen die gleichen Bauteile, wie der Vorgänger ME 1200. Nur zwei Bauteiltypen sind bei den neuen Kästen komplett entfallen. Neu hinzu kamen eine kleinere Platte, Lochstreifen in zwei Längen, ein kleines Rad, ein fertiger Batteriehalter, sowie gerade und gewinkelte Stahlachsen mit 2 mm Durchmesser. Die ehemals glasklaren Kunststoffteile sind jetzt rot und grün getönt. Das entspricht in etwa der Farbgebung der Märklin Metallbaukästen. Der Göppinger Modellbahn- und Spielwaren-Hersteller wird manchmal mit der Produktion der Philips-Kästen in Verbindung gebracht. Eindeutige Belege hierfür liegen mir aber nicht vor.

Im Gegensatz zu den Bauteilen, gibt es gewaltige Unterschiede bei den Anleitungen: Zum ME 1200 gehört ein richtiges Anleitungsbuch mit 142 Seiten. Am Anfang steht eine gründliche Einführung in das System. Die einzelnen Bauteile, der Umgang mit den Hilfswerkzeugen, die Verbindungstechnik, Rastermaße, Getriebearten und Übersetzungen werden ausführlich beschrieben. Sogar eine Einführung in die Elektrotechnik ist dabei. Erst dann werden verschiedene Modelle und ihr Aufbau vorgestellt.

ME1200 Anleitung ME1201 Anleitung ME1250 Anleitung ME1201/1250 Beilage

Dem ME 1201 haben mehrere Baupläne im Posterformat (50 × 70 cm²) beigelegen. Diese Baupläne und das Bauplanheft zum ME 1250 sind ohne Text. Der Aufbau der Modelle wird nur anhand von Bildern gezeigt, wie es auch bei anderen Herstellern von Konstruktionsbaukästen der Fall ist. Zusätzlich zu den Bauplänen gab es eine mehrsprachige Beilage, in der die verschiedenen Teile und Bauprinzipien mit wenigen Worten vorgestellt sind. Diese Beilage enthält jedoch keinen deutschen Text und hat den in Deutschland verkauften Baukästen nicht beigelegen.

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Philiform

Abbildung: Philiform

Die ME Baukästen verlangten von ihren Besitzern stets eine gehörige Portion abstraktes, räumliches Denken. Viele Kinder waren von diesen Kästen überfordert. Im Jahr 1968 wurde deshalb mit Philiform ein einfaches Konstruktionssystem vorgestellt, das bereits für Kinder ab 3 Jahren geeignet ist. Viele Bauteile sind mit der Serie ME kompatibel. Beide Systeme lassen sich deshalb hervorragend miteinander kombinieren!

Abbildung: Brechstange

Allerdings zeigte auch das Philiform System "Kinderkrankheiten". Manche Anleitungen waren noch zu schwierig. Auch das Bauprinzip mit Lochsteinen und Stiften hatte seine Macken. Es führte zwar zu sehr stabilen Verbindungen, aber einmal zusammengesteckte Bauteile mit drei oder mehr Verbindungsstellen waren von Kindern kaum noch zu trennen. Auch die später beigepackte "Brechstange" konnte das System nicht mehr retten. Zudem hatte sich Philips bewusst oder unbewusst in einen Konkurrenzkampf mit den bereits etablierten Herstellern [extern, DEUTSCH]Lego und [extern, DEUTSCH]Fischertechnik begeben. Obwohl das Bauprinzip sehr unterschiedlich war! Lego hat das zu Philiform ähnliche Technik System erst 1977 eingeführt. Bei dem Wettstreit um Marktanteile blieben auch andere bekannte Marken auf der Strecke. [extern, DEUTSCH]Idema ist nur ein Beispiel.

Das Aus für die Konstruktionsbaukästen von Philips kam etwa 1970. Die Philiform Maschinen wurden an einen Hersteller in England verkauft. Dort wurden identische Baukästen noch einige Jahre mit anderen Nummern hergestellt. Die Nummer entsprach dann in etwa der Anzahl Bauteile.

Abbildung: Philiform 106 Abbildung: Philiform 330

In den Experimentiertechnik-Katalogen wurden die Philiform Baukästen nur in Nebensätzen erwähnt. Sie sollen auch hier nicht ausführlich vorgestellt werden.

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