Artikel aus ZEIT Wissen 04-2005
Spaß mit Strom
»Wenn du hier anfasst, bist du tot«, stand im Internet. Experimente mit Hochspannung sind nichts für Anfänger. Zum Glück gibt es in Deutschland ein paar Begeisterte, die sich auskennen. Wir besuchten das Jahrestreffen der »Tesla-Coilers« - und brachten auch ein eigenes Experiment mit
Text Stefanie Schramm und Amélie Putzar
Als wir ankommen, müssen wir gleich wieder gehen, jedenfalls bis zum Eingangstor der Halle. Dort klebt ein Zettel mit Krakelschrift an einer Holzleiter: »Vorsicht Hochspannung, Lebensgefahr! Bei Ertönen der Hupe die Halle verlassen.«
Daniel Betsch hockt vor einem Fernauslöser, wie er bei Sprengungen verwendet wird, und etwas Ähnliches hat er auch vor. Ein Kabel führt zu einer Kiste mit allerlei Anzeigen. Obendrauf hat Betsch zwischen zwei Kontakte und hinter Plexiglas einen Stahldraht geklemmt. Jetzt geht das rote Licht an. Ohren zuhalten. Betsch drückt, die Kiste knallt, Funken schießen bis zur Hallendecke. Der Draht ist weg, verdampft mit einer Energie von 18 000 Joule, das entspricht vier Gramm TNT. 30 Zuschauer mit Kinnbärten, Brille und Shorts applaudieren.
Spaß mit Strom wollten wir haben, hier sind wir richtig. Als wir vor ein paar Wochen im Internet nach Experimenten gesucht hatten, waren wir vorsichtig geworden: »Wenn du hier anfasst, bist du tot«, stand da oft. Zum Glück stießen wir auf die Mailing-Liste der German Speaking Tesla Coilers (coil heißt Spule, Nicola Tesla ist die Galionsfigur der Szene). Ende Juli trafen sich die Hobby-Elektriker zu ihrem jährlichen Experimentier-Wochenende in Schwieberdingen, einem Dorf in der Nähe von Stuttgart. Auf ins Schwabenland!
Allerdings nicht ohne ein eigenes Experiment: Wir wollten positiv geladene Seifenblasen über eine ebenfalls positive Alufolie schweben lassen. Die Ladungen stoßen einander ab und halten die Blasen in der Luft, hatten wir in einem Buch für Lehrer gelesen (Physikalische Freihandexperimente, Aulis Verlag), das Risiko schien uns gering.
Für die nötige Hochspannung liehen wir uns einen Transformator des Herstellers Heinzinger aus. Doch der sah groß, schwer und gefährlich aus, lieferte bis zu 20 000 Volt - fast hundertmal so viel wie eine Steckdose. Uns wurde mulmig, und wir schauten uns nach etwas Harmloserem um. Leybold Didactic, ein Hersteller von Zubehör für den Physikunterricht, borgte uns einen handlichen Würfel, der 10 000 Volt Spannung bei 0,2 Milliampere Strom liefert. Zur Sicherheit bekamen wir noch einen Vorwiderstand von einem Megaohm. Was Zehntklässler nicht umbringt, kann uns auch nichts anhaben.
Im Normalfall ist Luft ein guter Isolator. Liegt jedoch eine Spannung von mehr als 30 Kilovolt pro Zentimeter an, werden die Luftmoleküle ionisiert - ein Funken springt über. In der Jakobsleiter startet der Zündfunken unten, wo die Drähte dicht beieinander liegen. Das heiße Gas steigt nach oben, der Funke wandert.
Erstaunlich, dass Nikola Tesla mit 86 Jahren eines natürlichen Todes starb. Mit seinen pilzförmigen Spulen, erfunden 1891, wurde der serbischstämmige Elektroingenieur in den USA berühmt. Mit ihnen wollte Tesla Energie durch Luft übertragen und drahtlos kommunizieren. Die Spulen machen aus einer niedrigen eine hohe Spannung nach dem Trafo-Prinzip: Eine Wechselspannung an der Primärspule erzeugt ein wechselndes Magnetfeld, das in der zweiten, senkrechten Spule einen Strom induziert. Wegen der vielen Windungen dieser Sekundärspule wird die elektrische Spannung so stark überhöht, dass sie sich vom Metallkopf wie ein Blitz durch die Luft entlädt - was der Akzeptanz der Technologie nicht förderlich war. Heute werden Tesla-Spulen nur noch von Enthusiasten gebaut.
Unter den Gerätschaften in der Schwieberdinger Lagerhalle ist unsere Hochspannungsquelle das Einsteigermodell. Das passt zu unserem Vorwissen. Wir erinnern uns vage an die Physikstunden: Strom besteht aus fließenden Ladungen, charakterisiert wird er durch Stärke und Spannung. Trafo-Bastler schätzen an ihm, dass er Magnetfelder erzeugt - die wiederum Strom »induzieren« können (siehe Kasten).
Auch unsere Experten haben klein angefangen. »Man steigert sich langsam und überlebt«, sagt Betsch, der das Treffen organisiert hat. Mit vier Jahren traf ihn sein erster Stromschlag, als er mit einem Nagel in der Steckdose stocherte. Mit 13 schraubte er seinen ersten Trafo aus einem alten Fernseher. Heute ist er 22 und bei 500 000 Volt und 10 000 Ampere angekommen, »schon ziemlich lebensgefährlich«. Im Keller seiner Eltern hat Betsch einen zwei Meter hohen Faraday-Käfig für seine Experimente aufgebaut. Ohne die Abschirmung würde er Fernsehantennen im Umkreis von einigen Kilometern stören - und Ärger bekommen.
Betsch redet schnell und hibbelt zwischen den Apparaten herum. Auf seinem T-Shirt steht »Feldstärke«, der Zeiger auf der knallgrünen Skala ist fast am Anschlag. Sein nächstes Experiment ist der »Can Crusher«. Betsch spannt eine Spirale aus dickem Kupferdraht auf seine Energiekiste. In der Spule platziert er eine leere Getränkedose. Er hupt, wir gehen in Deckung. Wieder knallt es, ein wenig Rauch steigt auf. Die Dose ist in der Mitte zerquetscht. »Der Strom in der Spule erzeugt ein starkes Magnetfeld«, erklärt der Experimentator. »Das löst ein entgegengesetztes Magnetfeld in der Dose aus.« Beide Felder stoßen einander ab, die Dose kann nur nach innen ausweichen. So kriegt sie eine verknitterte Taille verpasst.
Wir würden jetzt gerne mal unser Experiment aufbauen, aber wir müssen noch hinter dem rot-weißen Absperrband bleiben, das die Coiler für die Hand voll Zuschauer gespannt haben. Sonst geht es uns wie der Aubergine, die Betsch mal zerlegt hat. Mit einer fliegenden Festplatte, genauer gesagt: mit einer dünnen Metallscheibe aus dem Inneren einer Festplatte, per Magnetkraft in die Luft katapultiert.
Der Elektroniker Andreas Greiner hat extra eine Startrampe gebaut, einen Kabelkringel, der aussieht wie eine große Lakritzschnecke. Betsch schließt seine Kondensator-Energiebank an. Der Strom saust in den Kringel, erzeugt ein Magnetfeld und katapultiert die Festplatte nach oben. Zu schnell für das Auge. Hinterher ist die Scheibe ordentlich verbeult. Greiner freut sich. »Das Magnetfeld ist nicht überall gleich stark, deshalb verbiegt es die Scheibe.«
Jetzt können wir endlich loslegen. Auf Styroporplatten aus dem Baumarkt rollen wir mehrere Bahnen Alufolie aus und verbinden sie mit Falzen und Klebeband zu einer Fläche. An die Alufolie schließen wir den Pluspol unserer Hochspannungsquelle an, mit dem Widerstand dazwischen, damit nicht so viel Strom fließt, falls etwas schief geht. Auch die Seifenblasen müssen wir mit positiver Ladung versorgen. Dazu pfriemeln wir ein Kupferkabel an den Pustering. Das andere Ende stecken wir ebenfalls an den Pluspol der Spannungsquelle.
Beim Aufbauen müssen wir uns immer wieder die Ohren zuhalten. Zwar wird gerade nicht gesprengt, aber die Tesla-Spulen, die Lieblingsapparate der Bastler, knistern lautstark, wenn sie Funken durch die Luft sprühen. Die meisten Bastler haben sich Ohrenschützer mitgebracht. Wie blitzende Pilze ragen die Spulen in die Lagerhalle. Ihre Wurzeln bestehen aus wenigen dicken Windungen Kupferdraht, der Stamm aus sehr vielen dünnen Windungen, die eng um ein Plastikrohr gewickelt sind.
Diese Apparate machen aus wenig Spannung sehr, sehr viel Spannung. Am Dach des Pilzes, einem Ring aus Alurohr, entlädt sie sich als Blitz. Dazu muss die Spannung so hoch sein, dass sie den Luftmolekülen Elektronen klaut. Mit unserem 10 000-Volt-Gerät könnten wir höchstens ein Blitzchen von ein paar Millimetern fabrizieren. Die Königin der Tesla-Spulen schafft Blitze von weit mehr als einem Meter. Bis es dunkel wird, steht sie in einer Ecke der Halle. Ihr Auftritt soll den Abend krönen.
In der Halle riecht es nach Ozon und Wurst. Die Kollegen aus Koblenz haben ihren Grill aufgestellt, Betsch bestellt Pizza. Auch ein Coiler muss mal was essen - und kann sich dabei ganz auf unser Experiment konzentrieren.
Leider klatschen unsere ersten Seifenblasen einfach auf die Alufolie, obwohl wir alles nach Anleitung gemacht haben. Da schwebt nix. Bei der Generalprobe in der Redaktion hat das besser geklappt.
Die Zuschauer, die sich nun im Halbkreis vor unserer Alufolie eingefunden haben, tuscheln. »Vielleicht fließt da ein Kriechstrom über die Kabelisolierung«, sagt einer. Stefan Kluge, der Physiker mit dem Zopf, der mehr wie ein Surfer aussieht, malt die Seifenblasen-Schaltung auf eine Serviette und diskutiert mit den anderen Jungs. Fazit: »Da verschwindet zu viel Ladung über die Experimentatorin in den Boden.« Jemand holt eine Bierkiste, das wichtigste Accessoire der Hobbyelektriker. Stefanie hockt sich drauf und ist besser isoliert.
Funktioniert immer noch nicht. Wir opfern den Vorwiderstand und damit ein bisschen Sicherheitsgefühl, aber Stefanie steht ja auf der Bierkiste, und die Experten sind dabei. »Ihr solltet die Ecken der Alufolie rund schneiden, da kann Ladung abhauen«, meint einer von ihnen.
Aber auch beim vierten Versuch schweben die Seifenblasen eher wenig. Jetzt kommen Vorschläge, die wir von Esoterik nicht mehr unterscheiden können. »Ist doch klar«, sagt ein Nachwuchs-Coiler, »die Bierkiste ist schwarz.« Da sei Kohlenstoff drin, der würde leiten. Eine andere Bierkiste haben wir aber nicht, es muss so gehen. Ein Mann mit Vollbart glaubt, die Luftfeuchtigkeit sei zu hoch. Das ist die Standardausrede von Physiklehrern, wenn etwas nicht klappt. »Ist ein Chemiker da, sind Seifenblasen leitend?«, fragt Stefan Kluge in die Runde. Ein bisschen Salz in die Seifenlauge tun, rät jemand, der ein Semester Chemie studiert hat. Wir salzen.
Trotz aller guten Tipps heben die Seifenblasen nicht ab. Das erste Röhrchen ist schon fast leer. Nun werden die Ideen radikaler. »Die muss sich barfuß auf die Alufolie stellen, dann kann keine Ladung verschwinden.« - »Ihr braucht mehr Spannung!« Stefan Kluge klemmt unser Lehrmittelgerät kurzerhand ab und holt eine Pappschachtel, in der ein Fernsehtrafo und 24 000 Volt stecken. Auf die Spannung sollen wir uns mit nackten Füßen stellen? Wir finden: Wer solche Vorschläge macht, soll das mal schön selbst ausprobieren.
Also schlüpft Kluge - er hat immerhin ein Physikdiplom - aus seinen Trekking-Sandalen und steigt auf die Alufolie. Wir stecken den Trafo ein. »Ah, das ziept.« Kluges Beinhaare sträuben sich, und auch auf seinem Kopf stehen Haare ab. Vielleicht ein gutes Zeichen für unsere Seifenblasen. Kluge pustet. Die Blasen schweben, schweben - und schweben! Das müssen wir selbst probieren. Schuhe aus und ab auf die Folie.
Diesmal sitzt Stefan Kluge am Stecker. 24 Kilovolt fließen unter die Füße. Frauen merken gar nichts: der Vorteil von rasierten Beinen. Jetzt nur keinen Fuß auf den Hallenboden stellen. Die Seifenblasen schweben nun vorschriftsmäßig. Wir werden noch ein bisschen experimentierfreudiger und knipsen die Spannung aus und wieder ein: Die Blasen hüpfen wie auf einem Trampolin. Die Coiler applaudieren.
Es ist fast Mitternacht, die Stunde der Tesla-Königin naht. Die Spule überragt uns, sie ist ungefähr 1,90 Meter hoch. Der Konstrukteur, Christoph Bohr aus Koblenz, stellt einen Blitzableiter auf und vermisst den Abstand zur Spule: 1,10 Meter. Er steigt über das Absperrband, hinter dem die Zuschauer gespannt warten, und schaltet sein Elektromonster ein. Es knistert, die Spule lädt sich auf. Da schlägt der erste Blitz mit Zischen in die dunkle Halle. Bald funkt es zu beiden Seiten. Den Abstand zum Blitzableiter schafft die Spule locker, das heißt: mehr als eine Million Volt!
»Nicht anfassen!«, brüllt Kluge, als wir uns zum Gruppenfoto um die ausgeschaltete Tesla-Spule stellen. »Da ist noch ordentlich Restspannung drauf.« Jetzt haben wir zum Schluss noch mal einen ziemlichen Schreck gekriegt. Fast vergessen: Wenn du hier anfasst, bist du tot.